Gesundheit

Artikel entnommen aus www.kritische-tiermedizin.de

Autor: Dirk Schrader

Die Sache mit der Wurmkur

„Guten Tag! Ich hätte gern eine Wurmkur für meinen Hund. Und sicherheitshalber für meine Katze auch eine.“

Derartiges hören wir mehrmals täglich am Tresen unserer Praxis und – merkwürdigerweise vermehrt am Samstag, besonders dann, wenn das Wartzezimmer „knallvoll“ ist.

Es nervt wirklich.

Wir fragen dann: „Was für Würmer haben denn Ihr Hund und ihre Katze?“

Antwort so oder so ähnlich: „Ja, nö, die haben keine – aber meine Frau schickt mich.“

„Ach was!“ hätte Loriot jetzt wohl gesagt.

Dann steht man da wie „Ochse“ und fragt sich, was das soll?

„Ach so, Sie wollen mal wieder ihr Gewissen reinwaschen. Und Ihre Frau, die hat am Samstag alles im Griff. Sie erinnert sich an die Horrorstories in irgendwelchen bunten Blättchen, in denen regelmäßige Wurmkuren für Hunde und Katzen gefordert werden…“

Wir sind aber Tierärzte und keine Verkaufsschwengel der Pharmaindustrie. Wir haben die Verantwortung bei der Übergabe oder Rezeptur von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Und die verordnet man wann? Dann, wenn es notwendig ist. Aber – mal für jeden Konsumdussel zum hinter die Löffel kleben: Wurmkuren sind - wie viele andere Arzneimittel in der Regel – verschreibungspflichtig.

Wurmkuren sind Gifte, die nicht nur von Würmern aufgenommen werden, sondern auch vom Wirtstier. In der Mehrzahl sind es neurotoxische Stoffe, die bei Würmern zu Lähmungen führen, damit sie über den Stuhlgang ausgeschieden werden. Die Hersteller solcher Mittel behaupten zwar, „die machen beim Hund oder der Katze nix..“, was zu bezweifeln wäre, denn die meisten dieser Stoffe sind geeignet, Nervenschäden auch beim Wirtstier zu verursachen – besonders bei regelmäßiger Gabe. Zudem machen sie das Immunsystem „platt“. Man frage mal die Pharmafuzzies an den Universitäten, was eine LD50-Dosis ist…

Damit eines klar ist: Parasiten wie Würmer oder sonstige Fieslinge gehören nicht in den Darm eines Hundes oder einer Katze. Wenn ein Befund da ist (Kotuntersuchung im Labor), dann sollte man derartige Mittel gezielt nutzen – aber bitte nicht als „Dauerberieselung“ und schon gar nicht, um auf kurzem Wege sein Gewissen zu beruhigen.

Übrigens: die meisten Wurmkuren sind teurer als die Kotuntersuchung im Labor.

Kürzlich brachte es mein Sohn Steven fertig, sich eine geschlagene halbe Stunde mit einer Hundehalterin „ein´ abzusabbeln“, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, mal eben eine Wurmkur beim Tierarzt „`rauszuholen.“

Maine Güde, es nervt, wenn Tierhalter ohne nachzudenken an Gifte ranwollen, um sie ihren Haustieren nach ihrem Gusto reinzuballern.

Warum diese Sprache? Die perfiden Strategien in den oberen Etagen der Pharmafirmen führen tatsächlich zu partieller Verblödung vieler Tierhalter: 1000 Lügen machen eine Wahrheit – zum Segen der Pharmaumsätze und der Bonis der Vorstände. Hinterhältig wird den Tierärztinnen uns Tierärzten bei Kongressen mit schönen Schaubildchen und anschliessendem „GetTogether am Buffet“ verklart, wie viel Kohle sie den Tierhaltern aus der Tasche leiern können, wenn sie nur immer auf der Angstkeule herumreiten. Unverschämterweise macht man so Tierärztinnen und Tierärzte zu Zombies, die ohne nachzudenken hinter der Kohle her jachtern. Der so geschaffene Mainstream macht´s möglich.

Erinnern wir uns: Irgendwann kam eine Pharmafirma auf die Idee, den Umsatz ihrer Wurmmittel dadurch anzuheben, indem sie diesen Werbeslogan kreierten: „Die leckere Wurmkur“ – wohl wissend dass die meisten Tierhalter die leckere Wurmkur mit „Leckerlies“ verwechseln…

Es war übrigens dieselbe Firma, die den Tierärztinnen und Tierärzten Aufkleber andrehte, auf denen der schöne Satz zu lesen war: „Haben Sie heute schon ihren Tierarzt gelobt?“

Maine Güde…aua aua.

 

Dirk Schrader, Hamburg

 

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Artikel entnommen aus: kathrin-und-joachim.de

Die Pest der populären Deckrüden

Auf der Seite MyDogDNA.com wurde neulich der Artikel “The Pox of the Popular Sire” von Carol Beuchat, PhD, Scientific Director und Gründer des Institute of Canine Biology veröffentlicht. Ein wichtiger Artikel, der sehr gut beschreibt, wie es z.B. zum Auftreten der Greyhound-Neuropathie kommen konnte und warum die erfolgreiche Bekämpfung dieser Erkrankung die Rasse nicht davor bewahren wird, an weiteren genetisch bedingten Problemen zu kranken, wenn sich an der gängigen Zuchtpraxis nichts ändert. Anmerkung: Auch wenn sich in diesem Artikel der “Popular Sire” durch einen Ausstellungssieg hervortut, gilt das Gesagte analog auch für die Zucht nach Leistungsgesichtspunkten. Denn auch hier werden besondere Leistungsträger vermehrt zur Zucht eingesetzt, was sich bei erfolgreichen Rennhunden durchaus in mehreren tausend Nachkommen manifestieren kann.
Hier die deutsche Übersetzung:

Die Pest der populären Deckrüden
Der häufigste Ratschlag eines Genetikers an einen Hundezüchter ist, das “Popular Sire Syndrom” zu vermeiden. Gleichzeitig ist der häufigste Ratschlag von Züchter zu Züchter “das Beste mit dem Besten” zu verpaaren. Offensichtlich ein Dilemma, und mit vorhersehbaren Folgen – die „besten“ Hunde werden am meisten nachgefragt, daher zeugen sie den meisten Nachwuchs werden so zu populären Deckrüden.


Die Popularität der populären Deckrüden
Schon vor einem Jahrhundert (1915) schrieb William Hayner über den “Effekt des populären Deckrüden“, als er bemerkte, dass bei drei von ihm untersuchten Terrier-Rassen – Irish Terrier, Scottish Terrier und Fox Terrier – ungefähr 40% der Welpen von nur 20% der Deckrüden gezeugt worden waren. Damals war „Popularität” noch etwas anderes als heute – seine “profilierten” Rüden zeugten 5-7 Würfe, was heutzutage gar nicht bemerkenswert wäre. Und überraschenderweise war die Aussage von Haynes‘ Aufsatz, dass die populären Deckrüden in der Tat der Rasse gut taten, indem sie zur Bewahrung von Typen-Varianz beitrugen.
Oberflächlich betrachtet könnte es so erscheinen dass – wenn 40% der Welpen jedes Jahres von nur 20% der Deckrüden gezeugt werden – dies im Endeffekt zu einer größtmöglichen Gleichförmigkeit des Typs resultieren würde. Die auserwählten Rüden sind alle mehr oder weniger außergewöhnliche Tiere, aber sie werden nicht nach einem einheitlichen System ausgewählt. Die meisten fallen hinsichtlich eines bestimmten körperlichen Merkmals auf, aber sie sind nicht alle bezüglich desselben Merkmals herausragend oder in gleichem Maße, oder sogar in derselben Richtung. Hier ist der der persönlich Teil der Gleichung, das Ideal unterschiedlicher Züchter, bei der Arbeit und bewirkt, dass – weil einige wenige, im Typ voneinander aber unterschiedliche Rüden eine überdurchschnittliche Anzahl an Nachkommen zeugen – dies den Rassedurchschnitt in der Folgegeneration verändert und unübliche Ausmaße an Varianz bewirkt. Daher muss die Tatsache, dass künstliche Zuchtwahl einzelnen ausgesuchten, aber nicht gleichförmigen Rüden einen übermäßigen Einfluss verschafft, den Typ domestizierter Tiere in einem instabilen Zustand halten. Das erscheint mir ein wichtiger Faktor für die große Variabilität zu sein, die stets bei domestizierten Rassen auffällt.
Haynes hielt populäre Deckrüden für eine gute Sache, weil er dachte, dass sie sich jeweils ausreichend voneinander unterscheiden würden, um die Rasse vor einer zu starken „Vereinheitlichung“ zu bewahren. Wie kam es aber dann, dass der populäre Deckrüde vom „Beitragenden“ zur Qualität des Genpools im Jahr 1915 zur Quelle eines Problems wurde, welches Züchter 100 Jahre später vermeiden sollten? Was ist das „Syndrom“, über welches Genetiker heutzutage so besorgt sind?

Auf die schiefe Bahn geraten: DNS
Um das Problem zu begreifen, muss man ein wenig von Genetik verstehen. Möglicherweise wissen Sie etwas über Mutationen – kleine Teile der DNS, die nicht perfekt reproduziert oder vielleicht durch ein Umweltgift beschädigt werden. Wenn die Mutation dominant ist und einen lebensnotwendigen Prozess beeinträchtigt, wird sie aus dem Genpool durch natürliche Selektion entfernt, wenn das betroffene Individuum seine Gene nicht erfolgreich an die nächste Generation weiterzugeben vermag. Aber viele Mutationen haben keinen krankmachenden Effekt, weil deren dominantes Partner-Allel auf dem anderen Strang des DNS-Paares normal funktioniert. Diese „rezessiven“ Mutationen verbleiben unauffällig im Genom und können an die nächste Generation wie jedes andere Gen weitergegeben werden, und so lange der Nachwuchs über eine Kopie des normalen Allels verfügt, wird die Mutation nicht in Erscheinung treten. Die Mutation wird zu einem Problem, sobald ein Individuum zwei Kopien davon erbt und dann an diesem Gen-Lokus homozygot ist. Ohne wenigstens eine Kopie des normalen, unmutierten Allels wird das Gen nicht richtig funktionieren, und die Konsequenzen können von eher unerheblich (z.B. eine andere Augenfarbe, etwas kürzere Beine) bis zu katastrophal (z.B. Blindheit, kritischen Stoffwechselentgleisungen, Krebs) ausfallen.
Mutationen passieren ständig und immerzu. Diejenigen mit unmittelbar krankmachendem Effekt werden durch natürliche Selektion aus dem Genpool entfernt, während die rezessiven, stillen Mutationen im Genom als „genetische Last“ verbleiben. Jeder Hund – tatsächlich jeder Organismus – hat seine eigene Kollektion von schadhaften Allelen, welche keinen Schaden anrichten, solange jeweils noch eine Kopie des normalen Allels gibt, welches die ihm zugedachte Aufgabe übernehmen kann.

A Star is born
Nun betrachten wir, was in einer Population reinrassiger Hunde passiert. Nehmen wir an, dass diese niedliche Gruppe Ihre Rasse repräsentiert, mit den phänotypischen Variationen, die jeweils die Nuancen an Typ repräsentieren, die für einen ernsthaften Züchter leicht auszumachen sind. Wir haben jedem Hund eine durch ein Zeichen gekennzeichnete rezessive Mutation verpasst, ein Stückchen DNS, welches nicht phänotypisch zum Vorschein kommt und deshalb keinen nachteiligen Effekt für den Hund hat. Wenn jeder Hund in unserer Population dieses Jahr einen Wurf Welpen hat, wird die Auftretenswahrscheinlichkeit dieser verschiedenen Allele in der nächsten Generation in etwa gleich bleiben.

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Aber was geschieht, wenn einer dieser Hunde eine wichtige Veranstaltung gewinnt und zum Star wird? Wenn es sich um eine Hündin handelt, wird sie einen stark nachgefragten Wurf haben, und es wird vermutlich mindestens ein weiteres Jahr vergehen, bis wieder mit ihr gezüchtet werden wird. Wenn unser Star aber ein Rüde (nennen wir ihn „Hank“) ist, wird er häufig decken und in einem einzigen Jahr dutzende (oder mehr!) Welpen zeugen. Hank wird die Hälfte seiner Gene, sowohl gute wie schlechte, an jeden einzelnen Nachkommen weitergeben, und so viele Kopien seiner rezessiven, stillen Mutationen werden an seine Welpen weiter verteilt.

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So lange Hanks schädliche Mutationen jeweils mit einem normalen Allel bei seinen Welpen gepaart auftreten, werden diese nicht in Erscheinung treten und keine krankmachenden Effekte haben. Aber wenn Sie den Genpool der Rasse in der neuen Generation sehen könnte, würden Sie feststellen, dass dieser nun deutlich anders aussieht. Hanks Mutation wurde in nur einer Generation von „selten“ zu „weit verbreitet“ und lauert nun leise im Genom dutzender seiner Nachkommen. In dieser Generation ist man aber auch nicht klüger als zuvor. Die preisgekrönten Welpen, die die rezessive Mutation ihres Vaters tragen, unterschieden sich äußerlich nicht von denen, die sie nicht tragen.

Die nächste Generation…
Aber in der nächsten Generation finden wir den ersten Hinweis auf Schwierigkeiten. Vielleicht gibt es ein paar Halbgeschwister-Verpaarungen, oder Vater-Tochter-Verpaarungen, und einige dabei entstandene Welpen sind homozygot für Hanks Mutation. Vielleicht ist die Mutation ein Letalfaktor, und es handelt sich um totgeborene Welpen, vielleicht kommen die Welpen mit einer Krankheit zur Welt. Aber die Züchter werden verblüfft sein – nie zuvor hatten sie dieses Problem in ihrer Linie, oder überhaupt bei der Rasse, ist es deshalb möglicherweise einfach nur Pech? Niemand kann zu diesem Zeitpunkt erkennen, dass es sich hierbei nur um die Spitze des Eisbergs handelt.

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Eine Generation weiter fängt der richtige Ärger an. Die Träger der ersten Generation werden die Mutation an die Hälfte ihrer Nachkommen weitergeben, und Halbgeschwister-Verpaarungen oder Linienzucht auf besagten Deckrüden werden zunehmend betroffene Welpen hervorbringen. Selbst wenn die Anzahl der betroffenen Welpen immer noch recht klein ist, ist die Anzahl der Trägertiere nun beträchtlich, und bedenken Sie, dass unser populärer Deckrüde möglicherweise nach wie vor mehr als genug direkte Nachkommen in jeder Generation zeugt. Sie sehen, wo das hinführen wird. Die Saat wurde gesät.

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Jeder von diesem populären Deckrüden gezeugte Wurf ist eine Fortpflanzungsmöglichkeit weniger für jeden der anderen potenziellen Deckrüden in dieser Rasse, so dass die Verbreitung der Gene dieser nicht eingesetzten Rüden in der Population abnehmen wird. Gleichzeitig bringen viele Hündinnen Welpen von Hank zur Welt, die Halbgeschwister von dutzenden anderer Welpen in ihrer Generation sind. Die Versuchung, ein wenig mehr von den Starqualitäten dieses populären Deckrüden zu bewahren, wird möglicherweise zu einigen Linienzuchten führen, die Träger mit Träger zusammenbringen.

Uups, wir haben ein Problem
Zum jetzigen Zeitpunkt beginnen die Züchter wahrzunehmen, dass es ein „Problem“ in der Rasse gibt. Es braucht keinen Ahnenforscher, um die wachsende Population betroffener Hunde zu Hank zurück zu verfolgen, unserem populären Deckrüden, der nun für die Einführung dieser neuen Krankheit in die Rasse verantwortlich gemacht wird. Genetiker werden hinzugezogen, um Jagd auf das defekt Stück von Hanks DNS zu machen und einen zuverlässigen Test zu entwickeln. Dann werden sich die Züchter auf die Mission begeben, Hanks einst so wertvolle Gene aus dem Genpool zu eliminieren, mit ebenso großem Kollateralschaden für das genetische Vermächtnis aller Hündinnen, mit denen er verpaart wurde. Das genetische Massaker durch den Versuch, die Rasse von der unglückseligen Mutation zu befreien, wird sich auf viele weitere Generationen auswirken. Der schlussendliche Schaden für den Genpool kann katastrophale Ausmaße annehmen.
Das passiert immer und immer wieder, in einer Rasse nach der anderen. Natürlich, das Problem ist gar nicht der arme Hank. Wenn wir die Uhr zurück drehen, und der Richter hätte auf der schicksalsträchtigen Ausstellung auf einen anderen Hund gezeigt – nehmen wir an, Rosco bekam den Zuschlag – der Verlauf in der Rasse wäre komplett anders gewesen, aber mit mehr oder weniger vergleichbaren Konsequenzen. Rosco wird sein genetisches Erbe dutzenden süßer Welpen hinterlassen, von denen die Hälfte die eine fiese Mutation tragen werden, welche einige Generationen später die Rasse erschüttern wird. Die Züchter werden es schließlich bemerken, die Alarmglocken schrillen, und die Anstrengungen, die fehlerhafte Mutation zu identifizieren und auszulöschen, werden beginnen. Der Genpool wird bereinigt, und das nächste Mal, wenn ein großer Sieger auftaucht, der zufällig männlich ist, wird der Kreislauf von neuem beginnen.

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Das unglückliche Erbe des populären Deckrüden
Die wirklich unglückliche Sache an einem populären Deckrüden ist, dass die genetischen Folgen seiner Popularität erst nach etlichen Generationen zutage treten, wenn die Rasse bereits ein wirklich schwerwiegendes Problem hat. Die große Anzahl an rassespezifischen Erkrankungen, von denen bekannt ist, dass sie von einem einzigen rezessiven Gen verursacht werden (175 zum Zeitpunkt, als dies geschrieben wurde; OMIA) gibt Zeugnis von der Verbreitung dieses Problems (tatsächlich leiden einige Rassen bereits an vielen rezessiven genetischen Krankheiten).
Natürlich sind es nicht nur die rezessiven Mutationen, welche durch populäre Deckrüden weit verbreitet werden. Jede genetisch bedingte Erkrankung kann sich auf diese Weise schnell verbreiten, besonders, wenn das Auftreten einer neuen Krankheit gar nicht dokumentiert wird und die Züchter nicht bereit sind, absolut transparent bezüglich der Schwierigkeiten zu sein, deren sie gewahr werden. Inakzeptable Aggression bei English Springer Spaniels, welche zu den beliebtesten Familienhunden in den USA gehörten, scheint genetisch bedingt zu sein und konnte zu einem populären Deckrüden aus einer bekannten Zuchtstätte zurückverfolgt werden (Reisner & Houpt 2005; Duffy 2008). Fünfundzwanzig Prozent aller Berner Sennenhunde sterben in einem Durchschnittsalter von nur 8 Jahren an einem histiozytären Sarkom (Dobson), eine tödliche Krebs-Art, die offensichtlich auf einen einzigen Rüden aus der Schweiz zurück geht, und das Feuer wurde weiter angefacht durch einen bedeutenden Enkelsohn in den USA, der das bösartige Gen weit und breit im Genpool verteilte (Dobson 2013; Moore 1984; Moore & Rosin 1986). Viele Dobermänner sterben in frühem Lebensalter an plötzlichem Herztod, versursacht von Dilatativer Kardiomyopathie, welche zu sieben populären Deckrüden in den Fünfzigerjahren zurückverfolgt werden kann, von denen drei an Herzversagen verstarben (https://bit.ly/1anuinN). Eine ernstzunehmende – üblicherweise tödlich endende – Empfänglichkeit bei Zwergschnauzern für Mykobakterium avium (erwähnt als „MAC“ für Mycobacteria avium complex) ist vermutlich zu einem populären Deckrüden in der Mitte der 1980er Jahre zurück zu verfolgen und kann nun bei Hunden weltweit beobachtet werden (https://bit.ly/1gZbGy7 ; https://bit.ly/1ciVxNP). Ohne Zweifel gibt es viele weitere ähnliche Beispiele, die mir nicht bewusst sind oder die nie dokumentiert wurden.
Leroy (2011) hat populäre Deckrüden als den hauptsächlichen Motor zur Verbreitung genetisch bedingter Erkrankungen bei Rassehunden identifiziert. In Anerkennung dieses Tatsache hat die FCI eine Empfehlung an Züchter herausgegeben, dass kein Hund mehr Nachzucht (mutmaßlich während seiner gesamten Lebenszeit) zeugen sollte als 5% der registrierten Welpen seiner Rassen in einer Fünfjahres-Periode entspricht, und eine Reihe von nationalen Dachorganisationen (z.B. Finnland) sind dieser gefolgt. Aber ohne die Kooperation der Rassezuchtverbände oder in der Abwesenheit einer übergeordneten Stelle, die die Eintragungszahlen überwacht und in der Lage ist, eine solche Zuchtbeschränkung zu kontrollieren, kann man sich schwer vorstellen, wie eine solche Empfehlung überhaupt irgendeinen Effekt auf die gängige Zuchtpraxis haben sollte. (Welche Fünfjahres-Periode? Welche Population von Hunden – der Rasse weltweit, oder nur die Hunde im eigenen Land? Wer nimmt die Zählung vor – der Eigentümer des Rüden, der Eigentümer der Hündin, der Rassezuchtverein, die nationale Dachorganisation?)
Die einzigen Menschen, die von der explosionsartigen Vermehrung rassespezifischer genetisch bedingter Erkrankungen profitieren, sind die Molekulargenetiker, die die Hunde als ideale Forschungsobjekte entdeckt haben, weil viele derselben Krankheiten beim Menschen auftreten (Ostrander 2012). Aber so nützlich und faszinierend Hunde auch für deren Nachforschungen sein mögen, unterstelle ich mal, dass sie viel lieber Hunde sehen würden, die frei von genetisch bedingten Erkrankungen sind, da sie zuhause in der Familie so viel mehr zu bieten haben als im Labor.

Copyright alle Abbildungen:  ©Institute of Canine Biology 2013

 

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Artikel entnommen aus: diepresse.com

Autor: KURT KOTRSCHAL

Frühkastration: Skalpell sollte immer nur Ultima Ratio darstellen

 

Einen krummen Hund und Feind der Tierärzte hat man mich gescholten, als ich vor einigen Monaten das Frühkastrieren von Hunden zur Diskussion stellte und auch einen Zusammenhang zur ökonomischen Situation insbesondere mancher junger Veterinäre herstellte. Wohl wissend, dass die allermeisten Tierärzte auf fachlich und ethisch höchstem Niveau arbeiten.

Frühkastration bedeutet die Entfernung einer entwicklungswichtigen Hormonquelle, bevor Körper und Verhalten ausgereift sind. Als Vorsitzender des Eurasier-Clubs, dem von Junghundehaltern immer wieder von kastrationsfreudiger Veterinärberatung berichtet wird, wusste ich, wovon ich schrieb. Das vorbeugende Entfernen der primären Geschlechtsorgane schwappte als Mode aus den USA nach Europa; dort wird der Großteil der Hunde kastriert, bevor sie ein Jahr alt sind. Was auch Kollegen in Übersee sauer aufgestoßen ist, etwa dem Veterinär Ben Hart.

Mit seinem Team durchforstete er daher einen Datensatz von 759 Retriever-Hunden und bestätigte, dass Frühkastrieren nicht nur nicht vor Krebs schützt, sondern einen Rattenschwanz von Gesundheitsproblemen nach sich ziehen kann. Damit stach er in ein Wespennest. Aus seinem ursprünglichen Plan, die Ergebnisse in hochklassigen Veterinär-Journalen zu publizieren, wurde nichts. Unter fadenscheinigen Begründungen wurde das Manuskript abgeschmettert. Herausgeber meinten etwa, dass dies für die veterinärmedizinische Praxis nicht von Relevanz sei.

So landeten die Ergebnisse schließlich gottlob in der Online- Fachzeitschrift „PLoS ONE“. Die Erkenntnisse von Ben Hart werden damit weite Beachtung finden, was sie fürwahr verdienen. Denn es zeigte sich, dass doppelt so viele der frühkastrierten Rüden unter Hüftgelenksdysplasie litten als intakte Rüden (zehn vs. fünf Prozent). Im Gegensatz zum Fehlen der kranialen Kreuzbandzerrung bei intakten Hündinnen und Rüden, zeigten acht der frühkastrierten Hündinnen und fünf Prozent der frühkastrierten Rüden dieses Problem. Letztere entwickelten auch dreimal häufiger (zehn Prozent) Lymphdrüsenkrebs.

Mastzellenkrebs trat bei intakten Hündinnen nicht auf, betraf aber sechs Prozent jener Hündinnen, die nach Vollenden ihres ersten Lebensjahrs kastriert wurden. Und HSA, ein bestimmter Blut-(gefäß)krebs, trat bei diesen Hündinnen viermal häufiger auf (acht Prozent) als bei intakten oder frühkastrierten. Fazit: Frühkastration schädigt die Gesundheit, und auch die spätere Kastration ist insbesondere im weiblichen Geschlecht problematisch.

Es bleibt dabei: Tierkumpane mit dem Skalpell sozial kompatibel machen zu wollen, ist nicht nur ethisch, sondern auch gesundheitlich problematisch. Es gilt im Umgang mit Tierärzten jenes Prinzip, welches mündige Patienten auch im Umgang mit den eigenen Ärzten pflegen: schlaumachen, fragen, eine zweite Meinung einholen und erst dann in Ruhe entscheiden. Tier- und Menschenärzte sind hoch spezialisierte Berater; Entscheidungen aber sind in der Regel vom betroffenen Menschen selbst, für sich oder für den Tierpartner zu treffen. Als zweite Regel sollte man internalisieren, dass das Skalpell immer nur Ultima Ratio darstellen kann. Denn seine Nebenwirkungen stehen selten im Beipackzettel jener Chirurgen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

 

 

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